Die Magersucht, oder Anorexia nervosa, ist eine Essstörung, bei der die Betroffenen an einem selbst herbei geführten Untergewicht leiden. Dabei nimmt der Magersüchtige sich selbst trotzdem als "zu fett" wahr, dieser Unterschied zwischen Realität und Eigenwahrnehmung wird auch als Körperschemastörung bezeichnet. Betroffen sind meist Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 bis 18 Jahren, es gibt aber auch im jüngeren und älteren Alter Erkrankte. Nur selten sind Männer von der Erkrankung betroffen, etwa einer von zwölf Magersüchtigen ist männlich.
Die Betroffenen nehmen durch eine strenge Diät und häufig auch durch übertriebene sportliche Betätigung immer mehr an Gewicht ab, auch beim Auftreten von Folgeschäden durch das extreme Untergewicht wird weiter Diät gehalten. Gelegentlich werden auch Appetitzügler und abführende Mittel missbräuchlich eingenommen, um die die Diät zu unterstützen.
Die Erkrankung wird fast ausschließlich in westlichen Industrienationen angetroffen.
Die Ursachen der Erkrankung sind vielfältig und setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen.
In Zwillingsstudien konnte gezeigt werden, dass die Magersucht familiär und vor allem bei eineiigen Zwillingen gehäuft auftritt, was auf eine genetische Komponente schließen lässt. Das betroffene Gen konnte allerdings noch nicht benannt werden.
Das in den Medien weit verbreitete Schönheitsideal der sehr schlanken Frau ist häufig der Auslöser oder der Anstoß für eine Diät bei Jugendlichen. Nicht selten entwickelt sich die Magersucht aus einer Diät, die immer fanatischer praktiziert wird.
In der Familie der Magersüchtigen herrscht häufig ein hoher Erwartungsdruck, der meist nicht über Bestrafung sondern über Enttäuschung der Eltern bei Versagen kommuniziert wird. Die Erkrankten fühlen sich unter Druck gesetzt und in ihrer Privatsphäre eingeschränkt.
Es handelt sich bei magersüchtigen Patienten oft um Personen mit ähnlichen Charakterzügen. Häufig sind dabei zum Beispiel ein geringes Selbstbewusstsein und perfektionistische Züge.
Am Anfang der Erkrankung steht oft eine Diät, die dann aber auch bei erfolgter Gewichtsabnahme nicht mehr abgebrochen wird. So nimmt der Magersüchtige immer mehr an Gewicht ab, stellt die Ernährung mehr und mehr um, manche Gerichte wir zum Beispiel Fleisch werden gar nicht mehr gegessen. Dazu kommt häufig eine sich steigernde körperliche Betätigung. Diese Gewichtsabnahme mündet schließlich in ein extremes Untergewicht, der Anorexie. Die Anorexie ist definiert als ein BMI (Body mass index) von weniger als 18 kg/m² oder ein Körpergewicht von weniger als 15 Prozent unter dem Normalgewicht. Folgen der Erkrankung sind:
Die Betroffenen steigern sich mehr und mehr in einen Abnehmwahn hinein und sind nicht in der Lage, ihre Erkrankung zu erkennen oder zu bekämpfen.
Bei noch nicht ausgewachsenen Jugendlichen setzt das Längenwachstum aufgrund des Nahrungsmangels aus, die Betroffenen bleiben häufig klein.
Durch das starke Untergewicht kommt es zu Störungen vor allem der Geschlechtshormone. Dies bewirkt ein Ausbleiben der Regelblutung, fehlende Brustentwicklung, eine Unfruchtbarkeit des Mädchen und fehlende Libido (Sexunlust).
Ausgenommen von der ausbleibenden Regelblutung sind Frauen, die ein hormonelles Kontrazeptivum ("Pille") einnehmen.
Durch den Mangel an Stoffen wir Kalzium und Vitaminen kommt es zur Osteoporose bis hin zu Knochenbrüchen.
Es kann zu einem verlangsamten Herzschlag (Bradykardie), zu Herzrhythmusstörungen und zu EKG-Veränderungen kommen. Dies führt zu einem niedrigen Blutdruck und eventuell häufigen kurzen Ohnmachten (Synkopen).
Durch die mangelhafte Ernährung kommt zu Elektrolytverschiebungen im Blut, besonders gefährlich ist hier ein Mangel an Kalium, die Hypokaliämie, die weit reichende Folgen haben kann. Dazu kommt ein Mangel an Glucose. Auch die Blutzellen sind betroffen und es kommt zu einer Verminderung der Abwehrzellen wie Leukozyten und damit zu einer verstärkten Infektanfälligkeit.
Die Patienten frieren häufig und haben manchmal auch eine erniedrigte Körpertemperatur.
Durch den Mangel an Eiweißen kann es zu einer Wassereinlagerung ins Gewebe, so genannte Ödeme, kommen, die als teigige Schwellung unter der Haut sichtbar werden können.
Bei etwa 15 Prozent der Erkrankten führt die Erkrankung zum Tod, entweder durch Herzstillstand, Kreislaufzusammenbruch oder Infektionen, aber auch durch Suizid.
Das Leitsymptom und das augenscheinlichste Merkmal der Magersucht sind die starke Gewichtsabnahme und das damit verbundene Untergewicht. Von besonderer Bedeutung bei der Diagnostik ist das Gespräch zwischen dem Arzt und dem Patienten, dabei ist es wichtig, auch genau nach dem Umfeld des Patienten zu fragen, da die Magersucht eine psychische Störung darstellt und einen starken Einfluss auf Familie oder auch schulische Leitungen hat. An das Gespräch wird sich eine körperliche Untersuchung anschließen, die die Folgen der Unterernährung aufdecken soll. Auch eine Blutuntersuchung und das Messen der Hormonspiegel können weiteren Aufschluss geben.
Grundlage der Diagnostik sind die in Deutschland gebräuchlichen Diagnosekriterien des ICD-10, bei dem folgende Kriterien erfüllt sein sollen:
Differentialdiagnostisch kommen alle Erkrankungen in Betracht, die zu einer Gewichtsabnahme führen. Diese Gewichtsabnahme ist dann allerdings meist nicht gewollt und nicht selbst herbeigeführt. So bildet die Unterscheidung zwischen gewollter und nicht gewollter Gewichtsabnahme ein wichtiges Diagnosekriterium.
Folgende Erkrankungen sollten bei Eintreten einer starken Gewichtsabnahme ausgeschlossen werden:
Bei Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) kann es zu einer übermäßigen Produktion des Schilddrüsenhormons Thyroxin kommen. Dies führt zu einer starken Gewichtsabnahme, Nervosität, allerdings meist eher zu Heißhunger.
Viele Krebserkrankungen führen zu einer Gewichtsabnahme, die auch sehr rasch gehen kann.
Auch bei Depressionen, oder ähnlichen so genannten affektiven Störungen, kann es zu Gewichtsverlust kommen, dabei fehlt aber die falsche Wahrnehmung des Körpers, die Betroffenen merken, dass sie zu dünn werden.
Bei chronisch entzündlichen Erkrankungen wie zum Beispiel Morbus Crohn, oder bei Störungen der Nahrungsaufnahme oder der Verdauung, zum Beispiel der Zöliakie, kann es zu starkem Gewichtsverlust kommen.
Sehr starkes Untergewicht, etwa ab einem BMI von 13, ist lebensgefährlich und muss stationär behandelt werden. Der Magersüchtige muss zunächst über einen Venenzugang ernährt werden, vor allem um die gefährlichen Elektrolytstörungen auszugleichen. Therapeutisch wichtig ist vor allem eine psychotherapeutische Behandlung. Dabei muss dem Magersüchtigen zunächst eine Krankheitseinsicht vermittelt werden, das Essverhalten muss neu gelernt und verändert werden. Hilfreich ist oft auch eine familientherapeutische Unterstützung. Es gibt psychoanalytisch basierte Therapieansätze und verhaltenstherapeutische Ansätze, hier muss individuell entschieden werden, was für den Patienten in Frage kommt. Wichtig ist in jedem Fall eine langfristige psychologische Begleitung des Patienten.
Es zeigt sich bei Magersüchtigen eine hohe Chronifizierungsrate, das heißt trotz Therapie bleiben häufig eine Essstörung und vor allem eine Störung der Körperwahrnehmung erhalten. Auch die Sterberate ist unter Magersüchtigen mit ca. 15 Prozent hoch, dabei handelt es sich einerseits um Tod durch Folgen der Unterernährung und andererseits eine erhöhte Suizidrate. Bei einigen der Erkrankten wandelt sich die Magersucht im Erwachsenenalter in eine andere psychische Erkrankung, häufig zum Beispiel in die Depression.
Prognostisch ungünstig sind ein früher Beginn der Magersucht, etwa vor dem 11. Lebensjahr, sowie ein langer Krankheitsverlauf und ein später Beginn der Therapie.
Wichtig für die Prognose ist eine langfristige therapeutische Betreuung, die vor allem die Hintergründe der Magersucht aufarbeiten und behandeln soll.
Meist fällt die Magersucht nicht dem Patienten selber, sondern seinem Umfeld, zum Beispiel der Familie auf. Der Betroffenen zeigt keine Einsicht in seine Erkrankung und wird auf Drängen und Vorwürfe eher mit Abwendung reagieren. Es ist dann wichtig, rechtzeitig Hilfe und Beratung zu einzuholen, um den Magersüchtigen rechtzeitig einer Therapie zuführen zu können. Vor allem sollte der Erkrankte ernst genommen werden, die Magersucht ist meist kein vorübergehender "Spleen", sondern stellt eine Erkrankung mit möglicherweise weit reichenden Folgen dar.
aktualisiert am 28.02.2022